Leseprobe aus „Freundschaft Plus“ von Alena Riha
Kapitel EMMA
SO NACKT WIE GOTT MICH SCHUF
Emma war gerade wieder frisch Single. Sie hatte sich zum ersten Mal von einem Exfreund im Guten getrennt. Da sie gegen Ende der Beziehung doch etwas »untervögelt« war, ging die zierliche Frau sogleich auf die Pirsch. Die junge Frau mit frechem platinblonden Pixie-Cut war eine selbstbewusste Frau, die wusste, was sie wollte, vor allem im Bett. Sie machte keinen Hehl daraus, wenn sie jemanden begehrte, und war dabei sehr direkt. Man könnte sagen, dass sie ein ausgeprägtes sexuelles Selbstwertgefühl hat.
Sie weiß, dass sie gut ist. So führt sie, wie alle ihre Freundinnen, eine Liste von den Männern – und Frauen –, mit denen sie bereits geschlafen hatte. Ihre Freunde kennen sie nur allzu gut, und bei einem Gläschen Wein in ihrer typischen Runde sagte ihr Kollege Niklas: »Du Emma! Ich kenne da jemanden, der hat genau denselben Spinner wie du.« Die 22-jährige Anthropologie-Studentin nahm das nicht als Beleidigung. Ganz im Gegenteil. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie kein »normales« Mädchen war. Mit ihr konnte man Pferde stehlen,
und neben Pornos und Sex unterhielt sie sich ebenso gerne über politische Themen. Vor allem durch ihre offene Art, über Sex zu reden, wirkte sie anfangs ein wenig abschreckend. Umso mehr mochten sie ihre Freunde, denn so gab es bei keinem Thema eine Hemmschwelle.
Außerdem war Emma besonders in Feierlaune, sobald sie wieder auf dem Markt war. Denn beim Feiern machte sie meistens männliche Bekanntschaften. Wien ist die perfekte Stadt für das. Viele Möglichkeiten gibt es zum Feierngehen. Ob Klub, Bar, Studentenpartys oder gar Saunen. Man hatte allerhand Möglichkeiten, sich auszutoben. Als sie und ihre Freundinnen sich eines Abends fürs Feiern herausputzten, erinnerte sie sich wieder an den Freund, den Nik37 las vor wenigen Wochen erwähnt hatte. Niklas hatte gemeint, dass dieser an jenem Abend dabei wäre. Falls er ihr gefallen sollte und sie ihm auch, dann würde sie ihn sicherlich mit nach Hause nehmen.
Zum Vorglühen gingen sie ins Loco. Niklas, Benni, Elena – ihre beste Freundin – und Markus – der Freund von Elena – warteten bereits vor dem Klub. Während sie ihre Freunde begrüßte, entging ihr natürlich nicht das neue Gesicht unter ihnen. »Darf ich vorstellen: Das ist Severin«, sagte Niklas. Sie begrüßten sich mit einem kurzen Händeschütteln und zwei Küssen auf die Wangen. Severin war ein klein wenig größer als Emma, von stämmiger Statur, hatte hellbraunes, kurzes Haar und einen gepflegten Bart. Männer mit Bart und die, die etwas mehr dran hatten, gefallen Emma. Besser als Proleten, die fast jeden Tag ins Fitnessstudio gehen, oder so dermaßen schmale Männer, dass sie sich fast schon fett daneben fühlt.
»Wirklich einer der besten Klubs in Wien«, sagt mir Emma, »Kann ich nur weiterempfehlen! Zwischen sieben und acht Uhr abends ist Happy Hour. Alle Drinks nur um 50 Cent.«
»Das ist sehr billig«, lache ich. »Ja, und dementsprechend hat man auch einen günstigen und schnellen Rausch.«
Auf den Rausch musste Emma in jener Nacht nicht lange warten. Mit Severin kam sie leicht ins Gespräch, und sie stellte fest, dass sie einen ähnlichen Humor teilten. Nach einer Weile fragte Emma ihn, ob er sie nach draußen begleiten würde, um zu rauchen. Vor dem Klub zündeten sich beide eine Zigarette an und plauderten weiter. Severin schaute nur einmal kurz weg und passte nicht auf, da ging ein junger Mann an Emma vorbei und sprach sie an. »Willst du mit mir schmusen?«, fragte er dreist. Emma war überrascht, doch zugleich erinnerte sie sich, dass sie Single war und … na ja, sie war eben Emma. Sie zuckte mit den Schultern, und im nächsten Moment knutschte sie mit dem Unbekannten. Severin drehte sich um, und sein irritierter Blick war unbezahlbar.
So schnell, wie der Unbekannte seine Zunge in Emmas Mund gesteckt hatte, war er auch wieder weg. Emma lachte und entschuldigte sich bei ihrer neuen Bekanntschaft: »Tut mir leid. Ich bin ein wenig betrunken und gerade frisch Single. Da mach ich manchmal verrückte und unüberlegte Sachen.« Severin nahm einen Zug von seiner Zigarette: »Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Ich meine, ich würde dich auch mit heim nehmen.« Bei diesem Satz horchte sie interessiert auf. Bevor sie darauf antworten konnte, stieß ihr Kollege Benni dazu, und bald darauf gingen sie wieder rein. Später zogen sie weiter in die »Grelle Forelle«, wo sie noch für zwei Stunden blieben. Sie standen um einen Tisch, Emma unterhielt sich mit Severin und legte ihre Hand auf seine: »Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich auch mit nach Hause nehmen würde.« Sie merkte, wie seine Hand leicht zitterte. »Also, falls du Lust hast, kannst du mit mir nach Hause fahren«, fuhr sie fort.
Für einen Moment befürchtete sie, dass er nicht mitfahren würde, beziehungsweise ihre Einladung ihn womöglich abschrecken würde, da er etwas unbehaglich wirkte. Aber als es Zeit war zu gehen, stieg er mit ihr ins Taxi, und sie fuhren gemeinsam zu ihrer Wohnung. Nach ein bisschen Small Talk und einem Gläschen Wein fingen sie an, sich zu küssen. Er war ein guter Küsser, was ein gutes Zeichen ist. Als sie sich langsam auszogen, verwöhnte er sie mit Küssen auf ihrem gesamten Körper. Er küsste ihre Innenschenkel. Es kitzelte ein wenig, weshalb Emma kichern musste, zugleich erregte es sie noch mehr. Er fing an, sie zu lecken. Sie stöhnte auf. Dieser Junge wusste, was er tat. Sie hockte sich auf, und sie küssten sich wieder. Sie half ihm dabei, sich seiner Unterhose zu entledigen, und griff nach seinem Penis. Der war etwas kleiner als die sonstigen Penisse, die sie bereits kennengelernt hatte.
Das bedeutete jedoch nichts, denn man muss die Technik beherrschen. Emma griff in die Schublade ihres Nachttisches und holte ein Kondom hervor. Severin streifte sich das Kondom über und drang in sie ein. Nach wenigen Stößen bewies er ihr bereits, dass er die Technik sehr gut beherrschte. Nach etwa einer halben Stunde war der Spaß vorbei, und sie lagen erschöpft nebeneinander. Emma war überrascht, denn dieser One-Night-Stand – welcher es bis dahin war – war besonders gut. Ihrer Erfahrung nach ist der erste Sex, den man miteinander hat, nicht gut, da man sich meistens nicht gut kennt. Doch die sexuelle Chemie stimmte bei ihnen beiden von Beginn an.
»Irgendwie habe ich Hunger«, sagte Emma nach einer Weile. »Ich ebenso«, grinste Severin. Beide erhoben sich nackt aus dem Bett und stellten sich in die Küche. Emma warf einen Blick in ihren Kühlschrank und holte ein paar Eier hervor: »Wie wäre es mit Eierspeise und Toast?« »Bin ich dabei!«
Während Emma alles zubereitete, unterhielten sie und Severin sich angeregt. Plötzlich lachte Severin. »Was ist?«, fragte sie, den fertigen Toast und die Eierspeise auf den Teller legend.
»Ich finde das richtig toll, dass wir so nackt nebeneinander stehen, reden und Toast essen.« Sie reichte ihm seinen Teller und nahm einen Bissen: »Warum?« »Nun, die meisten Mädels, mit denen ich geschlafen habe, haben sich bei den ersten Malen immer gleich ein Shirt oder so angezogen, sobald sie das Bett verlassen haben. Aber du stehst einfach nackt neben mir. Das finde ich cool.« Sie lachte: »Ich bin so nackt, wie Gott mich schuf!« »Das finde ich gut. Gibt nicht viele wie dich.« »Nur mich.« Beide lachten. Nach dem Toast gingen sie ins Bett. Als er sich am nächsten Tag verabschieden wollte, fiel ihr ein, dass sie gar nicht seine Nummer hatte. »Du, Severin. Wollen wir Nummern austauschen?«, fragte sie. Ja, sicher.« Er schien etwas perplex. »Der Sex hat mir wirklich gut gefallen, und ich finde, das sollten wir wiederholen.« »Sicher, wir hören uns.« Sie umarmten sich zum Abschied.
Nach zwei Tagen hatte sich Severin immer noch nicht gemeldet, weshalb Emma selbst die Initiative ergriff. Sie schrieb ihm über WhatsApp. Er antwortete sofort, und vom Small Talk gerieten sie gleich zur Vereinbarung des nächsten Stelldicheins. Danach trafen sie sich etwa zwei bis drei Mal die Woche zum Sex. Meistens trafen sie sich bei ihm, und sie blieb auch nicht lange … sie übernachtete nie bei ihm. Das lag daran, dass er es ihr nie anbot, bei ihm zu schlafen, und sie wollte nicht aufdringlich sein. Außerdem versuchte Emma, die gemeinsame Zeit möglichst knapp zu halten, um nicht gefühlsduselig zu werden.
Nach kurzer Zeit bereits sprach Severin sie auf ihre gemeinsame rein körperliche Beziehung an. »Ich weiß, das mag dir etwas früh erscheinen. Aber wenn es dir nichts ausmacht, dann hätte ich gerne, dass wir uns beide mit niemand anderem einlassen.« Emma kam sich überrumpelt vor, doch bewunderte sie zugleich seine direkte und ehrliche Art.
»Wir würden dann, sozusagen, eine monogame Sexbeziehung führen?« »So stelle ich mir das vor.« Emma gefällt es, wenn ein Mann direkt sagt, was er will. Der Gedanke, nur mit ihm zu schlafen, machte ihr nichts aus, weshalb sie dem zustimmte.
Nach mehr als einem Monat bemerkte Emma, wie sie sich immer mehr darauf freute, wenn sie ihn endlich wiedersah. Anfangs versuchte sie jene Gefühle noch zu unterdrücken und wollte sich diese nicht eingestehen. Inzwischen war aus dem Sex ein bisschen mehr geworden. So kochten sie zusammen, schauten sich gemeinsam Filme an und machten Spaziergänge. Es war eindeutig, dass sie sich weitaus mehr miteinander verstanden als nur auf körperlicher Ebene. Es kam der Zeitpunkt, an dem sich die beiden immer mehr wie ein Paar verhielten und auch die gemeinsamen Freunde sie fragten, ob sie denn nun zusammen wären. Emma kam ins Grübeln. Ihr wurde klar, dass sie zwar nicht unbedingt verliebt war, jedoch eine tiefe Zuneigung für Severin empfand und sich eventuell romantischere Gefühle entwickeln könnten.
Als Severin ihr einmal schrieb, dass er sie vermisst, wusste sie, dass es Zeit war zu reden. Beim nächsten Treffen merkte er sofort, auf welches Gespräch sie hinauswollte. Er wirkte passiv und abweisend, trotzdem wich Emma nicht von ihrem Kurs ab. »Wir benehmen uns doch fast wie ein Pärchen. Was macht es da dann für einen Unterschied, wenn wir es nicht einfach benennen? Eine Beziehung.« Severin runzelte die Stirn und seufzte: »Der Unterschied ist, dass ich nicht verliebt bin. Versteh mich nicht falsch, ich mag dich wirklich gern, aber es sind keine tiefen romantischen Gefühle da.«
Emma war enttäuscht. Sie konnte ihn natürlich nicht zwingen, Gefühle für sie zu haben. Mit ihm darüber zu diskutieren würde sie zu viel Energie kosten. Außerdem wollte sie nicht zu aufdringlich wirken, obwohl es ihr schon Herzschmerz im ersten Moment bereitete. Plötzlich fuhr Severin fort: »Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden.« Sie horchte auf, ihr Herz klopfte: »Wie meinst du das?« »Ich mag jetzt keine Gefühle haben, aber vielleicht entwickeln sich diese noch.« »Heißt das, wir sind zusammen?«, fragte sie skeptisch. Er lächelte: »Ich denke wohl schon.«
»Haben sich die Gefühle entwickelt?«, frage ich Emma, die sich elegant eine Zigarette anzündet und ihren ersten Zug macht. »Nach etwa zwei oder drei Monaten waren wir richtig verliebt.« »Also ist sein Plan aufgegangen?« Sie lehnt sich zurück, die Zigarette in der Hand und den Blick in den Himmel gerichtet. »Definitiv. Wir hatten eine nette Zeit.« »Ihr seid getrennt?«, ich bin überrascht, da die Geschichte für sie doch gut ausgegangen war. So schien es zumindest. »Ja … kurz vor unserem 2. Jahrestag.« »Woran ist es gescheitert?« Ein schiefes Lächeln bildet sich auf ihren Lippen, es hat etwas Neckisches.»Er ging die Beziehung ohne Gefühle ein und ich mit Gefühlen. Ich verließ die Beziehung ohne Gefühle«, sie nimmt einen Zug, der Zigarettenrauch umgibt sie wie ein Nebel, der sich langsam lichtet, »und er verließ sie mit den Gefühlen.«
